08.04.2022
- META DIA
GLOBALER NOMADE MIT UNIVERSALER BOTSCHAFT
Werner Zips
Man muss nicht wie vormals Peter Tosh an
chronischer „Reggaemylitis“ leiden, um Reggae als
Medizin zu betrachten. Doch nur wenige reichen gegenwärtig an
die Kraft der ersten universalen Heiler heran: Gregory Isaacs
(Herzschmerzen), Burning Spear (soziale Leiden) und allen voran Bob
Marley (das musikalische Allheilmittel).
Werner Zips sieht in Meta Dia
einen würdigen Nachfolger der Roots-Schamanen.
Nicht erst seit seinem neuen Album „Dia“
– sprich Jah! Ein Reggae-Edelstein seltener Güte aus
der spirituellen Tiefe des afrikanischen Erbes.
In
Zeiten des rasanten Vordringens von islamistischen Terrorgruppen in
Nord-, West- und Ostafrika, insbesondere in der Sahelzone, zu der auch
der Senegal Großteils gehört, ist eine Stimme des
Ausgleichs und der Versöhnung – wie jene von Meta
Dia – an Wichtigkeit kaum zu überschätzen.
In den folgenden autobiographischen Notizen nimmt er auf seine
islamische Herkunft von den Viehhirten und Reiternomaden der Fulani
Bezug, die zur Ausbreitung des Islam in Afrika entscheidend beitrugen.
Im weiterführenden Interview betont er jedoch seine eigene
Rolle als Weltbotschafter des Friedens. Im Zeichen von Reggae.
Prolog
– Meta Dia in seinen eigenen Worten Autobiographische
Notizen zu seinem Namen und seiner Fulani-Identität
Dia wird im Senegal „Jah“ ausgesprochen. Das ist
mein Familienname, der sich auf die Könige des
Königreichs Fouta Toro bezieht, namentlich die Dia. Diese
Dynastie der Dia regierte für viele Jahrhunderte und war
bekannt als: Dia-ogo, ausgesprochen wie „Jah-ogo“.
Ich kam wirklich aus zwei Königreichen:
Väterlicherseits und auch von Seiten meiner Mutter, die
Nachkommin von König Lebou ist, mit vollem Namen Lat Dior
Ngone Latir Diop, der Familienname ausgesprochen
„Jop“. Beide Seiten meiner Familienlinie sind also
als Könige und Königinnen bekannt, die Familien Dia
und Diop. Rastafaris bezeichnen König Haile Selassie als Jah
Rastafari, was nach dem Alten Testament Jahwe oder Gott,
„Jah“, bedeutet.
Wir Muslime glauben, dass es nur einen Gott gibt, und wir
identifizieren Allah oder Gott mit keinem lebenden Menschen. Keine
Gottheit, niemand ist dem einen und einzigen Gott, Allah, gleich. Der
Einzigartige. Der Meister des Universums. Aber die wahre Bedeutung von
Dia oder „Jah“ in meiner Sprache ist
„Licht“. Und wir glauben, dass Allah das Licht
aller Lichter ist. Das Ewige Licht. Es war Allah, der seiner
Schöpfung Licht schenkte.
Ich denke, dass jeder einzelne auf seine Weise einzigartig ist. Es gibt
Licht in jedem einzelnen. Suche in dir selbst. Und du wirst dich selbst
und deinen Sinn im Leben finden. Ich bin, wer ich bin. Ich trage meinen
eigenen Kopf. In Dankbarkeit für den Allmächtigen
Allah.
Also mein Name Meta Dia, wird nur gleich ausgesprochen wie das Wort
„Jah“ in Jamaika. Als ich ein Kind war,
Reggae-Musik hörte und von Jah hörte, dachte ich, ja,
das ist mein Nachname? Aber für uns hat mein Familienname Dia
eine andere Bedeutung, nämlich jene des Lichts der
Schöpfung.
Meine ganze Familie lebte zusammen in Dakar, Cousins und Tanten, Onkel,
wir alle lebten und wuchsen in einem großen Haus auf und da
wurde mir klar, dass Harmonie Sinn macht, wenn ich es heute
rückblickend betrachte. Weil wir früher jede Mahlzeit
miteinander geteilt haben, das Abendessen, Mittagessen, einfach alles.
Mein Vater ist Fulani. Er stammt aus einem Dorf in Fouta, dem
Königreich Fouta Toro. Wir sind nach Dakar ausgewandert, weil
mein Großvater hier Imam war. Er wurde als Imam in die
senegalesische Hauptstadt transferiert und war gleichzeitig Koranlehrer
in der Moschee. Mein Vater war auch Lehrer in der Moschee. Wir lebten
in einer großen eng miteinander verbundenen Nachbarschaft.
Jeder aus der Gemeinschaft kennt auch heute noch jeden.
Mein Vater reiste dann in die USA und begann, in den USA zu leben und
den Koran und islamische Geschichte an einer amerikanischen
Universität zu unterrichten. Ich wurde also weitgehend von
meiner Mutter und meinen Großeltern aufgezogen. Mein Vater
kam nur von Zeit zu Zeit nach Hause in den Senegal. Aber meine Kindheit
war trotzdem sehr schön. In der Lage zu sein, in dieser
Familie in Dakar mit vielen Menschen zu leben, mit den
Großeltern, Onkeln, und Tanten ständigen Kontakt zu
haben, und nicht weit von unserem Haus zur Schule gehen, das machte
eine schöne Kindheit und Jugend aus.
Die Fulani waren eine sehr wehrfähige und kriegerische Ethnie.
Vom Roten Meer bis zum Atlantischen Ozean bildeten sie einen
Gürtel. Sie nannten dies den Fulani-Gürtel Afrikas.
Sie sind Nomaden und besitzen immer noch sehr kriegerische Traditionen,
einen „warrior spirit“. So konnten sie sich in ganz
Afrika ausbreiten. Sie hatten kein Konzept für Landeigentum,
das nur bestimmten Gruppen gehört, die alle anderen davon
ausschließen können. Sie fühlten sich frei.
Sie waren Nomaden. Sie zogen ständig als Viehhirten auf der
Suche nach Weideland herum. Erst mit der Zeit entdeckten sie den Islam.
Das ist es, was diesen Fulani-Geist zur Spiritualität brachte.
Fulani trugen schon vor langer Zeit Dreadlocks. Dreadlocks kommen also
nicht nur von Rastafari aus Jamaika. Nein, nein, Dreadlocks entstanden
in Afrika. Denn wenn man sich zum Beispiel Cheikh Ibra Fall, den
Gründer der Baye Fall ansieht, trug schon er Dreadlocks. Bevor
wir sie aus Jamaika kennen gelernt haben.
Malerei an einer Wand mit Mame
Cheikh Ibrahima Fall und sein Lehrer
Ahmadou Bamba
und der heiligste Ort der Baye Fall und des ganzen Senegal - Die
große Moschee in
Touba mit dem Mausoleum von Cheikh Ibrahima Fall
Baye Demba, Ambassador von
Cheikh Ndiguel Fall (Serigne Cheikh Ndiguel Fall ist der Urenkel von
Cheikh Ibrahima Fall)
Fulani hatten zu vielen Zeiten Probleme. Immer mit Grenzen. Ich glaube
nicht, dass ein echter Fulani an Grenzen glaubt, die Menschen trennen.
Sie tun es nicht. Davon wollen sie nichts wissen. Ich selbst trage
diese Denkweise immer noch in mir, weil ich glaube, dass die Erde
niemandem gehört. Das ist es, worüber ich im Song Trespass auf meinem
letzten Album Dia spreche: Warum kann sich nicht jeder Mensch frei auf
dieser Erde bewegen? Deshalb begingen Fulani als Nomaden schon immer
Grenzverletzungen oder eine Art
„Hausfriedensbruch“, weil sie glauben, dass das
Land nur dem Allmächtigen gehört.
„Forgiveness
will make us heal“
Meta Dia, der Frontman,
Komponist und Sänger von Meta & The Cornerstones hat
den von ihm verehrten musikalischen Ahnen aus Jamaika eine wichtige
soziale Erfahrung voraus: jene der Nomaden. Er sieht sich als Erbe der
„Fulani Dread“, der wahren Komponisten von
Heilungsmusik, wie es im Song Conqueror
heißt. Diese Herkunft ist wichtig zum Verständnis
der Musik und Texte von Meta Dia. Sie sitzt an der Wurzel seines
Weltbildes. Mehr noch: die Grenzen-Verachtung der auf über 20
afrikanische Staaten verteilt lebenden Fulani ist für ihn
Identitätsbildend. Im Sinne einer Multi-Identität,
die für jegliche Grenzziehungen zwischen Menschen kein
Verständnis hat. Gleichgültig, ob es sich um soziale,
religiöse, „rassische“ oder andere Grenzen
handelt.
Meta Dias Musik wirkt wie ein Breitbandantibiotikum gegen Ausgrenzung,
Separatismus, Tribalismus sowie die alten und neuen
Apartheid-Pandemien. Sämtliche Kategorien, die solche
Trennungen erst ermöglichen, treffen auf seine Ablehnung.
Folglich entzieht er sich und seine Musik auch allen
Etikettierungsversuchen. Er passt in keine Schublade. Sein Reggae ist
„Soulmusik“ aus dem Herzen. Sie lässt sich
keiner Weltregion oder musikalischen Tradition zuordnen. Jedenfalls
nicht mit Zustimmung von Meta & the Cornerstones. Erfassen
lässt sie sich auch nicht in den üblichen
Zuschreibungen der Musikpresse, sondern erst in ihrer Wirkung, als
„etwas, das Ozeane, Grenzen und Sprachbarrieren
überwindet“ (wie es auf seiner Homepage
heißt).
Live
Video:
Silence Of The Moon + Tijahni (26.07.2015 - Reggae Jam
Bersenbrück)
Wie die unter unzähligen Namen bekannten Fulani (u.a. Fulbe,
Fula, Peulh, Bororo, Wodaabe) sieht sich Meta Dia als (globaler)
Nomade, der seine eigene Interpretation von One Love um die
Welt verbreitet. Vielleicht auch in der Tradition jener Araber aus
Mekka, die den Propheten Mohammad ins Exil begleiteten. Auf diesen
Ursprungsmythos berufen sich viele Fulani, trotz ihrer
vielfältigen Gottes-Vorstellungen, dem sogenannten
Polytheismus. Sie waren es, die entscheidend zur Verbreitung des Islam
in Afrika beitrugen, allerdings oftmals in den inklusiven und
integrativen Varianten des Sufismus, die afrikanischen Glaubensformen
und religiösen Praktiken weiterhin Raum ließen.
In den, stellenweise höchst metaphorischen Texten von
„Dia“ schimmern diese spirituellen Gedankenwelten
der kulturellen und religiösen Toleranz in vielen Songs durch.
Sie befeuern keinen Religionskrieg oder „Clash of
Cultures“, sondern nähren eher einen „Mash
of Cultures (and Religions)“, sofern man unter Mash keinen
Einheitsbrei, sondern eine wechselseitige Durchdringung versteht, die
der Begriff „Transkulturation“ umschreibt. Dieser
geht nicht zufällig auf kubanische Freiheitshelden, Poeten und
Wissenschaftler wie José Marti und Fernando Ortiz
zurück, hat aber viele bekannte Väter und (oftmals
unbekannte) Mütter weltweit. Er umfasst den kulturellen
Austausch und die wechselseitige Befruchtung im Gegensatz zur
„kulturellen Aneignung“.
Im Senegal, dem Geburtsland von Meta Dia sind das beispielsweise die
Begründer des größten Sufi-Ordens des
Landes: Cheikh Ahmadou Bamba und sein erster geistiger General, Cheikh
Ibrahima Fall, der Begründer der Dreadlocks tragenden Baye
Fall (s. Riddim No 5/2013). Ihnen zollt Meta ebenso Respekt wie
muslimischen Propheten, Königen wie King Mehmed, dem
ottomanischen Eroberer von Konstantinopel, Rastafari oder Jesus
(Christus). Und das in so manchen lyrics
sogar in einem Atemzug, wie in „Riser“:
“Tell me why Jesus would carry their cross
And be their sacrifice
Remember when King Mehmed brought the Basilica
Down to the romans
Constantinople fell down to coma …
Dread Natty dread
I say today is the future: Africa
What a man can do to another man …”
Texte wie diese verlangen dem Reggae
Stammpublikum schon einiges ab.
Nicht Jede*r weiß, dass die Basilica eine spezielle Kanone
von mehr als 8 Metern Länge war, deren Reichweite von beinahe
2 Kilometern und Schusskraft (bis zu 300 Kg schwere Steine) die
Verteidigungsanlagen der byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel in
Schutt und Asche legte und damit das Byzantinische Imperium und
letztlich die 1500 Jahre währende Herrschaft des
Römischen Reiches pulverisierte.
Mehmed II. erobert
Konstantinopel - Auszüge aus dem Topkapi Panorama im heutigen
Istanbul (ehemals Konstantinopel)
Trotz der Bezüge zur
islamischen Geschichtsschreibung bleiben die Kernaussagen des Songs mit
der Rastafari Philosophie kompatibel. Sie basieren auf einem doppelten
Strang: Erstens, der Erhebung Afrikas innerhalb der Weltgemeinschaft
– „rise up Mama Africa children, rise and take a
stand“ (wie es in Breezeheißt)
– nach
400 Jahren Sklaverei, Kolonialismus, Ausbeutung und
Unterdrückung, und Zweitens, dem Wunsch nach Beendigung des
fortwährend von Menschen an Menschen verübten
Unrechts. Genau
darin liegt, meiner
Ansicht nach, der Kern der Rasta-Befreiungslehre: in der untrennbaren
Verbindung zwischen „Equal Rights and Justice“ und
„One Love“.
Religionen
als
Etiketten des Separatismus
Das funktioniert nur, indem die Intoleranz und der exklusive
Alleingeltungsanspruch der Offenbarungsreligionen verworfen werden.
Meta ist kein religiöses Glaubensbekenntnis im engeren Sinn zu
entlocken. Auf die Frage, ob er Sufi, Muslim, Rasta oder was auch immer
sei, antwortet er gleichbleibend geduldig: alles zusammen, er glaube
nicht an Trennungen und Etikettierungen („labels“).
Ähnlich wie der große persische Dichter Hafiz mit
Worten, die viele spirituelle Menschen wie Sufis und Rastas bis heute
unterschreiben können:
„Das Gerangel der zweiundsiebzig Glaubensrichtungen
mußt du jeder einzelnen verzeihen: da sie die Wahrheit nicht
kannten, schlugen sie den Weg der Wundererzählungen
ein“ (aus: Joachim Wohlleben: Die Ghaselen des Hafiz,
Würzburg 2002, Verlag Königshausen & Neumann,
S. 258).
Die daraus abzuleitende Vereinigung aller
Menschen in gegenseitiger, allumfassender Liebe beschreibt Meta als
Herzstück seines neuen Albums. Sein „chanting down
Babylon“, bei dem er Kingston und Jamaika explizit zum
Mitsingen einlädt, will Grenzen niederreißen, nicht
neue errichten. In „Breeze“ hört er die
Verzweiflung der indigenen Bevölkerungen von Sam (USA), ihre
Lieder an den Geist des Büffels („chanting down
Babylon“), ebenso wie das gegenwärtig namenlose Leid
an den Grenzen der „Vereinigten“ Staaten.
Meta kennt den amerikanischen Albtraum aus langer eigener Erfahrung.
Seit zwanzig Jahren in New York lebend, erfährt er den fatalen
und oft genug letalen Rassismus auf eigener Haut, vor allem durch die
sogenannten „Sicherheitsbehörden“. Eine
schwarze Hautfarbe genügt, um permanentem racial profiling
ausgesetzt zu sein: Wer die Wohnungstür hinter sich
schließt, kann nie mit Sicherheit wissen, ob er oder sie
wieder wohlbehalten zurückkehrt.
Wer sich von den wunderschönen, live von seinen Cornerstones
eingespielten „feel-good melodies“ und den
optimistischen Versen zu „Peace, Love and Harmony“
einlullen lässt, überhört leicht die
Verweise auf ungewollte, alltägliche Ausflüge in die
Welt von Hass(verbrechen). Zahlreiche lyrics
führen aufmerksame Zuhörer*innen in die dunklen
Seiten der Menschheit: ungebrochener Rassismus, Armut, Kriege und die
Umweltzerstörung. Doch Meta lädt dort nicht zum
Verweilen ein, wie so manche andere Artists. Vielmehr baut er
mehrspurige Highways aus dem Tal von Empörung und Vergeltung
für erlittene sufferation.
Seine musikalische Gefolgschaft geleitet er ins viel besungene
„Tal der Entscheidung“ (valley of decision),
wo das Gute über das Böse obsiegt. Im
Fulani/Sufi/Rasta-Sinn bezieht sich das auf den Gedanken der Unity
aller Menschen. Im O-Ton von Breeze
klingt das dann so:
„Ain’t no wall between earth and sky
Ain’t no war between you and I
We are called to come together and learn from each other (…)
Just like the breeze
Forgiveness will make us heal
I realize, love is the only way”
Ummah als
Einheit aller Menschen und Lebewesen
Seine Vorstellungen von Versöhnung als Voraussetzung
für eine geeinte Menschheit, die sich der großen,
überwiegend selbst erzeugten Herausforderungen der Gegenwart
stellt, gipfelt in der Idee einer allumfassenden Ummah. Unter der
Ummah wird in der Regel die Gemeinschaft aller Muslime verstanden. Meta
gibt sich damit nicht zufrieden. Er schließt an die
Koran-Sure 6:38 an, die in umam
die Vereinigung der Gemeinschaft aller Menschen, Lebewesen und sogar
der Djinn
(Geister oder Wesen, die aus „rauchlosem Feuer“
entstanden sind) erkennt. Genau darin sieht er die Basis für
den wichtigsten Kampf der Gegenwart: die Bewältigung der
planetaren Umwelt- und Klimakrise.
Werner Zips
und Meta Dia beim KASUMAMA
Afrika Festival in Österreich - Juli 2015
Die folgenden Auszüge aus einem rund zweistündigen
Interview/Reasoning geben einen Eindruck in die Gedankenwelt eines
außergewöhnlichen Reggae Artist. Sie sollen helfen,
die Tiefe seiner ebenso poetischen wie kämpferischen Texte
besser ausloten zu können. Seine Ausnahmestellung verdankt er
der scheinbar mühelosen Verbindung zwischen islamischem
Geschichtsbewusstsein, muslimischen Sufi-Meditationen, afrikanischen
Weltbildern, Rastafari und einem auf all diesen Cornerstones
beruhenden universalen Humanismus. Das gibt der im Reggae
vielfältig verbreiteten Botschaft von „different
colours, one people“ frische Nahrung. Meta beruft sich damit
inhaltlich auf afrikanische Vorbilder wie den unsterblichen Lucky Dube
und seinen Song „Different
Colours“. Seine Version dieser zentralen Haltung
im Reggae, ist umso mehr bemerkenswerter, wenn man sich vor Augen
hält, dass der südafrikanische Rasta zu Zeiten der
Apartheid permanent von den Autoritäten der institutionell
rassistischen Gesellschaft verfolgt wurde. (Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=R4csXJXHVGA).
Viele Reggae-Fans beginnen erst langsam zu erfassen, welch
traumatisierende Wirkung die (per Handy-Mitschnitt)
öffentliche Hinrichtung von George Floyd weltweit hatte und
immer noch hat. Damit geriet auch das, lange Zeit unhinterfragte
Streben nach „One Love“ unter Druck. Alte
Gewissheiten von Reggae als fast schon
„natürlicher“ Gegenwelt zu und Freiraum
von Rassismus gelten nicht mehr unhinterfragt (wie etliche
jüngere Artikel und Leserbriefe in der RIDDIM und andere
Äußerungen belegen).
Im historischen Moment der Rückkehr des Krieges nach Europa
und damit potentiell in die gesamte Welt ist Metas musikalisches Wirken
ein wichtiges „Heilmittel“, im Sinne der eingangs
erwähnten healing
powers dieser Musikrichtung. Gegen Autokraten, die vor
keiner noch so unvorstellbaren Gewalt zurückschrecken, wie in
der physischen Vernichtung der Ukraine und ihrer
Zivilbevölkerung sichtbar, mag das wenig bewirken,
für die Rückbesinnung auf universale Werte aber viel.
Zumindest auf manche der dringlichsten Gegenwarts-Fragen gibt Meta
überraschende Antworten. So reagiert er auf die Zweifel an
seinem zentralen Motto von "Frieden, Liebe und Harmonie", indem er
dessen Relevanz für die größten
Herausforderungen der Menschheit bekräftigt: dem Schutz des
Planeten vor dem Menschen, der seine Lebensgrundlagen
zerstört, benötige eben jene Ummah, die Gemeinschaft
aller.
Meta Dia in
seinen eigenen Worten
Das One Love-Ideal der
Reggae-Musik wird zunehmend als Klischee kritisiert. Du stehst
paradigmatisch für „Frieden, Liebe und
Harmonie“. In der Zeit rassistisch motivierter Polizeimorde
erscheinen solche Visionen vielen als Wunschdenken.
Yeah. Hier in den USA halten viele Leute „One Love“
und mein Mantra von Frieden, Liebe und Harmonie für ein
Klischee. Aber selbst, wenn es ein Klischee sein sollte, betrachte ich
es gleichzeitig als Gebet und Zukunftshoffnung. Ich bin mir bewusst,
dass es Vorurteile, Krieg und rassistische Diskriminierung gibt. In
unserer heutigen Welt erscheint One
Love wie eine vage Idee. Aber bedeutet das, dass wir
aufhören sollten, One
Love oder „Frieden, Liebe und
Harmonie“ überhaupt zu erhoffen? Dann
würden wir mit dem Gebet aufhören und
endgültig kapitulieren. Vielmehr braucht es die klare Haltung,
gemeinsam gegen Rassismus aufzustehen. Wenn jemand so einen Mist an die
Wand schreibt, dann sollten wir daneben oder besser darüber
„Frieden, Liebe und Harmonie“ oder One Love schreiben.
Wir können die destruktive Gehirnwäsche unserer
Jugend nicht dulden. Aber wir leben zweifellos in einem Zustand der
Angst. Polizei und Zivilbevölkerung sind in den USA beide
bewaffnet. Die Polizei weiß, dass Zivilisten Waffen tragen,
und umgekehrt. Was bewirkt das? Allumfassende Angst.
Breeze gibt
eine klare, aber vielleicht unpopuläre Antwort: Vergebung.
Könnte diese „Brise“ zu einem
„Wind der Veränderung“ – den
viel beschworenen Winds of
Change
– werden?
Nur Vergebung kann heilen. Breeze
ist das Herzstück des Albums, ist das Herzstück von
allem, was ich mit dem Album ausdrücken will. Als Menschen
neigen wir manchmal dazu, tiefen Groll zu hegen. Aber Wut
vervielfältigt sich, türmt sich auf und wird zu einer
unlösbaren Geschichte. Es gibt viele Beispiele, die zeigen,
dass wir immer noch in denselben Betten von Rassismus, Hass und
Zwietracht liegen. Warum? Weil wir weiterhin alles Negative
wiederholen, weil wir nicht verzeihen. Wahres Verzeihen bedeutet, dass
man zuerst sich selbst verzeiht, dass man früheren
Generationen deren Fehler verzeiht. Vergangene Taten sind eine Last
für Gegenwart und Zukunft. Wenn wir eine andere Zukunft
wollen, müssen wir lernen zu vergeben. Das sehe ich als
Reinigungsprozess (Purifikation). Viele Menschen halten das
für eine der schwierigsten Aufgaben. Aber gleichzeitig ist es
eines der einfachsten Dinge, die man tun kann. Das zu erkennen, ist
eine Frage der Reife.
Official
Video: Meta
Dia & The Cornerstones - Breeze
Unsere physische Existenz auf Erden dauert vielleicht 100 Jahre. Diese
Zeitspanne lässt viele Veränderungen zu, selbst wenn
sie uns kurz erscheint. Aber wir sind hier, um zu lernen und
Erfahrungen zu machen, auch wenn wir oft machtlos gegen Ungerechtigkeit
sind. Wir sind alle nur Teil dieser großen Echos, die durch
unser Leben hallen. So viele Dinge geschehen gegen unseren Willen:
Gewalt, Kriege, Hassverbrechen an Unschuldigen. Da ist es schwer zu
erkennen, dass wir alle eins sind. Wenn wir jedoch lernen zu vergeben,
bedeutet das, dass wir uns selbst vergeben, dass wir einander vergeben
und dass wir der Welt vergeben. Vergeben, um der Zukunft eine Chance zu
geben, allen ein würdiges „Leben“.
Für mich gehört Vergebung zu den Dingen, die extrem
wichtig sind. Sie kann jedem helfen, sich weiterzuentwickeln und in
Frieden zu leben.
An vielen Orten der Welt herrscht Krieg. Aber wenn man normale Menschen
trifft, gibt es keinen Krieg zwischen ihnen. Kriege und Konflikte sind
immer Ideen, die von einigen wenigen verbreitet werden. Es ist leicht,
Hass zu erzeugen, einen Kreislauf der Rache auszulösen, all
das. Aber zwischen den Menschen herrscht kein Krieg. Erst wenn diese
Idee verbreitet wird, wird sie zum Krieg.
Wir reagieren reflexartig auf Gewalt. Weil sich in unseren Herzen eine
Menge Schmerz angesammelt hat. Es ist so einfach, diesen Schmerz zu
aktivieren, nach Rache zu rufen, in den Krieg zu ziehen. Anstatt in
diesem Rattenrennen mitzulaufen, müssen wir alle lernen,
unsere Vergangenheit bewusst zu erinnern, aber immer wieder zu vergeben
und es auch wirklich zu meinen. Das ermöglicht es, unser Herz
zu öffnen. Zu sagen „Ich vergebe“ ist der
einzige Weg, sich für One
Love zu öffnen. Das ist es, was mich das Leben
über vier Jahrzehnte gelehrt hat (Metas Earthstrong:
29.05.1981).
In der
heutigen Welt wird viel über den "clash of cultures,
civilizations and religions” gesprochen. Als Nachkomme von
Islam-Gelehrten singst Du von der Ummah, dem islamischen Konzept von
Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, scheinst darunter aber
das Ideal von globaler Einheit zu verstehen.
Genau, von der Ummah als globale Einigung. Des Sichtbaren und des
Unsichtbaren. Das schließt alles Leben mit ein. Jeder Weg
Gottes steht für die Ummah. Das Wirken von Jesus genauso wie
jenes des Propheten. Ummah bezieht sich also nicht nur auf eine
islamische Einheit zwischen Schiiten und Sunniten. Es ist vielmehr der
Weg des Allmächtigen. Seine wahre Bedeutung ist, eins zu sein,
vereint in Frieden und Toleranz. Der Allmächtige ist der Herr
und Richter über seine Schöpfung. Alle anderen
Geschöpfe folgen der Ummah. Nur die Menschheit ist
starrköpfig. Der Baum folgt der Ummah, denn der Baum folgt dem
Sein, nicht dem Wollen. Hast Du jemals einen Apfelbaum oder einen
Bananenbaum gesehen, der zum Meer geht, ein Bad nimmt und wieder an
seinen Platz zurückkehrt? Nein, er bleibt, wo er
hingehört, folgt seiner Bestimmung. Alle Tiere und Pflanzen
sind sie selbst, sind in ihrem Sein. Aber wir, wir wollen besitzen.
Deshalb hat die Menschheit ein Problem. Sobald man etwas haben
möchte, kommen Gier und Eitelkeit ins Spiel, und bald will man
alles für sich allein. Letztendlich zerstören wir so
den Planeten Erde.
Du bringst
die Sorge um die Natur und den Schutz der Umwelt zum Ausdruck. Etwas,
das ich im Reggae oft vermisse. Viele Artists sprechen über
den Löwen als Symbol für sich selbst, aber sie
scheinen zu ignorieren, dass der Löwe in unserer Zeit an den
Rand der Ausrottung gebracht wird. In so vielen afrikanischen
Ländern ist er bereits verschwunden. In den nächsten
drei Jahrzehnten werden wir wahrscheinlich eine Million Arten verlieren.
Es ist mit Sicherheit eine niederschmetternde Wahrheit, dass dies noch
zu unseren Lebzeiten geschieht. Manchmal erkennen wir erst viel
später, was wir eigentlich jetzt schon sehen sollten. Wir
verarbeiten Realitäten nicht automatisch. Die Krise der
biologischen Vielfalt braucht auch im Reggae mehr Gehör, weil
so viele Arten aussterben werden, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Unterm Strich müssen wir für die Erhaltung der
Wildnis kämpfen, denn sie alle haben ein Recht zu leben. Wie
gesagt gemäß der Ummah.
Aber wie
können wir das umsetzen? Dein neues Album Dia endet mit einem
leidenschaftlichen Aufruf zum „Schutz der Bienen und
Bäume, der Ozeane und Meere“. Im Schlusslied
heißt es, dass „jedes kleine Sandkorn Reichtum
bedeutet. Es ist der Körper der Seele, in dem das Leben
gedeiht.“
Wir haben noch viel zu tun und müssen uns grundlegend
ändern. Ich denke es beginnt mit einem
Führungsproblem der Politik. Nimm so viele Minister, die zum
Beispiel für Kultur, Energie oder Umwelt zuständig
sind. Sie mögen viele Titel haben, aber sind nicht
qualifiziert. Sie wissen kaum etwas über ihr Fach. Darunter
leiden so viele Lebensbereiche. Viele kommen nur in
Führungspositionen, weil sie Beziehungen haben. Wir
wiederholen ständig die gleichen Fehler. Das spiegelt sich
überall im Alltag wider. Es fehlt an Vernunft und Kompetenz.
Schau Dir die Ozeane an. Eine einzige Anhäufung von
Müll und Plastik. Du hast es selbst in Dakar gesehen, es ist
Wahnsinn. Und überall sieht man das menschliche Verhalten, das
dazu führt. Für mich, der ich von dort komme, ist es
schwer, darüber zu sprechen, aber es ist die Wahrheit. Deshalb
müssen wir diese Art von Themen ansprechen, sie in unsere
Musik aufnehmen, um zu bilden, wenn die Schule versagt. In Afrika haben
wir ein gewaltiges Problem mit Plastik. Unsere Baye Fall stehen
für das Wohlergehen der Natur und biologische Landwirtschaft.
Genauso wie Rastafari für natürliche Reinheit
– ital livity
- stehen. Reggae muss das stärker reflektieren.
Kann
„Ital Livity“ das Problem lösen?
Manche kämpfen schon sehr lange Zeit für
Nachhaltigkeit auf dem gesamten Globus Wir haben es mit einigen
großen Unternehmen zu tun, die nicht bereit sind, zu diesem
Kampf beizutragen. Als Künstler können wir nur
Problembewusstsein erzeugen, damit sich mehr Menschen Gedanken machen
und aktiv werden.
Seit meinem letzten Album vor vier Jahren mache ich mir mehr und mehr
Sorgen über das rasche Aussterben der Arten. Denn das ist der
Zeitpunkt, an dem wir anfangen werden, zu verstehen, dass alles mit
allem zusammenhängt, wir eine untrennbare Einheit bilden. Es
gibt viele akademische und spirituelle Lehrer da draußen, die
vor der globalen Erwärmung warnen. Ich sage mit meiner
musikalischen Stimme: Hört auf sie! Denn sie wissen, wovon sie
sprechen. Sucht die Wahrheit, denn für mich ist das die wahre
Bedeutung der bedingungslosen Liebe, die uns alle angeht. Das ist ein
wesentlicher Bestandteil des Konzepts: „Each one teach
one!“ Jeder muss seinen Teil beitragen.
CD:
Meta & the Cornerstones: Dia (Metarize Music, VP 2021). Single:
Meta & The Cornerstones: Breeze (Metarize Music, VP 2021)
Zum Autor:
Werner Zips ist Professor für Kultur- und Sozialanthropologie
an der Universität Wien. Seine Forschungsthemen sind: Reggae,
Rastafari, Maroons, Baye Fall und Natur- und Artenschutz in Afrika.
Zu Rastafari siehe Werner Zips: Rastafari.
Eine Universale Philosophie im Dritten Jahrtausend.
(Promedia 2010).
Mehr zu den Baye Fall siehe Werner Zips: Hail di Riddim. Reportagen aus
dem Reggaeversum JamaicAfrica (Promedia 2015).
Copyright:
www.reggaestory.de Text:
Werner Zips Fotos:
Meta Dia, Werner Zips, Peter Joachim Videos:
Meta & The Cornerstones + Peter Joachim