TWINKLE
BROTHERS
02.10.2022 - FESTSAAL KREUZBERG - BERLIN
Als Anfang des Jahres das erste Poster zum
geplanten Auftritt der Twinkle Brothers in Berlin
veröffentlicht wurde, war das für uns von Anfang an
als Pflichtveranstaltung gebongt. Denn als wir die Band zuletzt in 2017
beim
Reggae Jam in Bersenbrück präsentiert bekommen haben,
hat sich deren gewaltiger Roots Reggae Sound in Mark und Bein derart
eingebrannt, dass wir schon lange auf einen Nachschlag gewartet haben.
Diese Band mit über 70 Alben in der Discography, hat sich
garantiert noch keine Sorgen über Reggae gemacht und
über ein "Reggae Revival" oder neuerdings sogar über
ein "Reggae Revival Revival" nachgedacht. Die Twinkle Brothers und ihre
Musik haben das nicht nötig. Was sich in Berlin, in puncto
Dankbarkeit des Publikums abgespielt hat, gab's nur einmal in
2022.
Geplant
hat den Auftritt Oskar, alias Jimmy Handtrix, von A Bass
Odyssey. Als er den ersten Flyer im Web raus haute, stand
noch der 21. Mai im YAAM Berlin im Fokus (Ursprünglich der 30.
April 2020). Wir hatten die Sache natürlich sofort
unterstützt und wollten mit dem YAAM in Vorfeld ein paar Dinge
besprechen. Da wussten die Verantwortlichen des Clubs noch nicht einmal
davon, dass sie zu den Glücklichen zählen sollten und
kannten das Datum erst recht nicht. Wegen der altbekannten
behördlichen Probleme mit der Konzerthalle, wäre der
Gedanke auch gar nicht umsetzbar gewesen. Letztendlich wurde die
Veranstaltung in den Festsaal Kreuzberg und auf den 02. Oktober 2022
verlegt.
Also ging es für uns am zweiten Oktober wieder einmal
nach Berlin und zum Festsaal Kreuzberg. Hier ein paar
Eindrücke vom Tage.
Rechtzeitig wie immer, wenn uns keine außerordentlichen
Umstände in die Quere kommen, stehen wir am Einlass. Dieses
Mal vor der verschlossenen Tür. Wie wir nach einiger Zeit
erfahren müssen, ist der Flieger der Band zu
spät eingetroffen und nun wird er wohl auch noch
stundenlang auf der Rollbahn festgehalten. Die Band kann also das
Flugzeug eine Stunde lang nicht verlassen. Die wartenden Fans werden
aber beruhigt, dass das Konzert in jedem Fall stattfinden wird, ... nur
eben etwas später. Entsprechend später beginnt dann
auch der Einlass, aber vorerst nur bis in das Foyer. Das hätte
aber auch eher erfolgen können. Warum die Bar
während
der Wartezeit keinen Umsatz machen wollte, bleibt deren Geheimnis.
Dennoch hören wir erstaunlich schnell aus der
Konzerthalle die ersten Klänge vom Soundcheck der Band. Wir
haben das Glück, den Vorbereitungen schon beiwohnen zu
dürfen.
Engineer Gussie P. aka Gussie Prento von Sip
A Cup Records, ist als Engineer im Einsatz und feilt an den
letzten Tönen der Band, bis alles perfekt klingt. Norman
Grant (Leadsinger), sitzt derweil neben der Bühne auf einem
Stuhl und verfolgt das Geschehen.
Wir versuchen inzwischen nach einer Setlist zu schauen, aber niemand
kann eine beschaffen. Drummer Barry Prince nach dem Soundcheck darauf
angesprochen, sagt dazu nur: "Wir
brauchen keine Setlist. Wir spielen schon so viele Jahre zusammen und
lassen jede Show einfach auf uns zukommen. Da wird nichts geplant. Die
Titel sind aber nicht in jeder Show gleich. Wir können dir
deshalb erst nach der Show eine Liste schreiben." Wir
werden darauf zurückkommen.
Inzwischen ist auch schon der Saal für das Publikum
geöffnet und die Roots
Daughters sorgen für das
Warm-up.
Als die Twinkle Brothers dann schließlich loslegen,
fällt die Verspätung gar nicht so sehr ins Gewicht.
Da haben wir bei anderen Konzerten schon deutlich länger
gewartet, und dies sogar ohne begründete Anreiseprobleme.
Live Video:
The Twinkle Brothers - 1/6 - Jah Kingdom Come + It's Only Rasta
Norman Grant eröffnet mit "Jah Kingdom Come" (Album
"Countrymen" 1980) und "It's Only Rasta" (Album "Final Call" 1996),
dies im Outfit eines Arabers,
jedoch mit einem Schal in den Rastafarben über dem Arm. Die
typischen Merkmale der arabischen Männerkleidung sind ein
rot gemustertes Shemagh (als Kopfbedeckung), gehalten von
einem schwarzen Egal oder Agal (schwarze zweifache Kordel), einer
knöchellangen weißen Thobe oder Thawb (Kittel) und
natürlich dürfen die Sandalen nicht fehlen,
... und das auch noch in barfuss. Die Kopfbedeckung
behält Norman allerdings nur ein paar Minuten auf. Wer das im
Bild festhalten möchte, muss sofort loslegen. Warum er gerade
diesen Kleidungsstil gewählt hat, wissen wir leider nicht. Wir
werden ihn am Ende danach fragen müssen, wenn wir daran denken.
Live Video:
The Twinkle Brothers - 2/6 - Repent + Jahoviah + Babylon Falling
+ Since I Throw The Comb Away
Ist man einmal im "Video-Modus", traut man sich eigentlich kaum noch,
wieder abzuschalten. Immerhin kommt von Norman gleich nach dem letzten
Ton des gerade präsentierten Songs, oft schon die Ansage
für das nächste Stück, sofern es
überhaupt ein "Päuschen" gibt. Wer schaltet da schon
ab, wenn der nächste Hit wie "Jahovia", "Babylon Falling" und
andere angekündigt werden. Die Massive ist von Anfang an auf
dem Höhepunkt und singt bei den bekannten Hooklines lautstark
mit. Nach vier Songs und "Since I Throw The Comb Away" muss ich aber
eine Pause einlegen, bevor meine Position mit Genickstarre bestraft
wird. Letzt genanntes Stück haben
übrigens Teacha
Dee und Sam Gilly von House of Riddim erst im Mai diesen
Jahres zu einer neuen
Version verarbeitet und dürfte somit auch auf diesem
Wege ins Gedächtnis zurückgerufen worden sein oder
den einen oder anderen Hörer zu Recherchen veranlasst haben.
Live Video:
The Twinkle Brothers - 3/6 - Somebody Please Help Me + Give Rastas
Praise
+ Babylon Is A Trap (With Dub Judah)
Ja und die soeben gehörte Skanummer "Somebody Please
Help Me", war der erste Song der Twinkle Brothers, die schon seit
unglaublichen 60 Jahren im Geschäft sind.
Will man sich mit der Bandgeschichte auseinander setzen, muss man
natürlich bei den Wurzeln der beiden
Gründerbrüder Ralston und Norman Grant beginnen.
Sie
wuchsen in den Ghettos von Falmouth der Gemeinde Trelawny von Jamaika
auf. Getauft wurden sie in der Anglican Diocese Church. Norman und
Ralston begannen im Alter von 6 bzw. 8 Jahren bei Konzerten des
Sonntagsschulchores zu singen. Da sie sich keine Instrumente kaufen
konnten, begannen sie sich aus verschiedenen Dosen und
Angelschnüren Gitarren und Trommeln zu basteln. Anfang der
60er begannen sie auf Talentwettbewerben zu singen. Das waren
z.B. zunächst die sogenannten "Pop and Mento" Festivals. Nach
ein paar
Fehlschlägen konnten sie schließlich mehrere Jahre
lang Preise gewinnen. In der Folge traten sie der Band "The Cardinals"
bei und begannen in Hotels und Nachtclubs auf der ganzen Insel zu
spielen.
Es war dann letztendlich im Jahr 1962 als sich Norman (Vocal, Drums)
und Ralston (Vocal, Rhythm Guitar) in Falmouth, der Hauptstadt
des Parish Trelawny, entschlossen, als The Twinkle Brothers ihre eigene
Band zu gründen. Diese wurde später um die Musiker
Eric
Bernard (Piano), Karl Hyatt (Vocal, Percussion) und Albert Green
(Congas, Percussion) ergänzt. Ihr erster Song war "Somebody
Please Help Me" in 1964, den sie für Leslie Kong aufnahmen. Zu
finden auf der 2002er Compilation "Old
Time Something", worauf Aufnahmen der Jahre 1964-1974 aus dem
Dynamic Sound Studio, dem Treasure Isle, dem Randy's Studio 17 und dem
Channel One Studio von Kingston enthalten sind. Es folgten
Aufnahmesessions
für andere führende jamaikanische Produzenten wie
Duke Reid, Lee "Scratch" Perry, Sid Bucknor, Phil Pratt und Bunny Lee.
Zu Beginn der 70er Jahre begannen sie ihre Aufnahmen selbst zu
produzieren und brachten schließlich 1975 ihr Debutalbum
"Rasta Pon Top" auf dem Label "Grounation" heraus.
Live Video:
The Twinkle Brothers - 4/6 - Patoo
1977 folgte ihr
Zweitling "Do Your Own Thing" bei Carib Gems (UK) und Roots
Music
International (NL). Im selben Jahr unterzeichnete die
Band bei Virgin Records´ Front Line Label, was zur
Veröffentlichung von Alben wie "Love", "Praise Jah" und
"Countrymen" führte. Mitte der 70er Jahre begann Norman Grant
neben den Aufnahmen der
Twinkle Brothers auch andere Künstler zu produzieren. Anfang
der 80er Jahre ging er
nach Großbritannien, gründete sein eigenes Label
"Twinkle Music" (auch Twinkle Records) in London und trat erfolgreich
als Solokünstler, immer
noch unter dem Namen "The Twinkle Brothers" auf. Es folgten zahlreiche
Veröffentlichungen überwiegend auf Twinkle Music, die
bis heute andauern. Inzwischen hat die Discographie eine nahezu
unübersichtliche Länge von über 70 Alben
erreicht. Die bisher aktuellste Scheibe ist das 2021er "World
Crisis" Album. Für 2023 sind neue Aufnahmen in Normans Studio in Jamaica geplant.
Die ersten 6 Konzerttermine für 2023 stehen auch schon fest, davon 3 in Großbritannien und 3 in Frankreich.
Live Video:
The Twinkle Brothers - 5/6 - It Gwine Dread'A
Heute steht die Band mit folgenden Musikern auf der Bühne:
Norman
Grant (Lead Vocal), Black Steel (Guitar), Jerry Lions (Guitar), Dub
Judah (Bass, Vocal), Aron Shamash (Keys) und Barry Prince (Drums).
Norman Grant als Gründungsmitglied ist natürlich seit
1962 dabei und hat
bis
2004 auch noch an den Drums gesessen, bevor Barry Prince in die Gruppe
gekommen ist. So hatte dann Norman mehr Freiraum für Lead
Vocal
und Songwriting. Black Steel ist seit 1986, Jerry Lions seit 1987, Dub
Judah seit 1990 und Aron Shamash seit 2004 bei der Truppe (vorher bei
Basque Dub Foundation). Mitbegründer Ralston Grant und Bruder
von
Norman Grant, wird zwar noch als aktuelles Bandmitglied angegeben, ist
aber heute leider nicht dabei.
Aus wirtschaftlichen Gründen ist es ihm nicht möglich
bei allen Touren mitzumachen, da er in Oakland, Kalifornien, lebt. Nach
Angaben der Band war er aber zuletzt bei zwei Touren im Mai dieses
Jahres in Brasilien, im Raum Sao Paulo, mit dabei.
Live Video:
The Twinkle Brothers - 6/6 - Nah Get Weh Wid It + Never Get Burn
+ Free Africa
Ja und das war nun leider wieder einmal das unglaubliche Finale mit
"Free Africa" als letzten Song. Wir haben eine unglaubliche Show
erlebt,
mit einem phantastischen Roots Reggae Sound, präsentiert von
einer Band, die für ihre mitreißenden Live Shows
bekannt ist. Das Publikum natürlich ebenfalls in
Höchstform und textsicher im Einsatz. Trotz der ausgelassenen
Stimmung
herrschte eine überaus angenehme Atmosphäre mit
gegenseitiger
Rücksichtnahme, keine Rempler, keine
Drängler, nichts dergleichen, ... ein absolut
entspanntes Konzerterlebnis. So etwas
gibt's eben überwiegend nur bei klassischem Roots Reggae.
Was nach dem Bühnenabgang der Twinkle Brothers passiert, ist
kaum zu
überbieten. Das haben wir in 2022 bei keiner einzigen Band
erlebt, nicht einmal bei Burning Spear. Das Verlangen nach einer Zugabe
ermüdet ja oft, wenn
die Band nicht früh genug nachgibt. Das passiert allerdings
heute nicht
im Festsaal Kreuzberg. Der Lärm ist ohrenbetäubend
und lässt über viele Minuten einfach nicht nach.
Erst als Gitarrist Jerry Lions im Unterhemd auf die
Bühne
kommt, tritt eine Pause ein. Die Band ist ausgepowert, wozu auch die
Verzögerung bei der Anreise einen nicht unwesentlichen Anteil
hatte. Die Twinkle Brothers hatten keine Möglichkeit mehr,
sich vor der Show ausreichend zu erholen. Jerry Lions bittet um
Verständnis dafür und übergibt die Massive
an die Roots Daughters, die nun die Aufgabe haben das Publikum langsam
runter zu fahren.
Nach angemessenem Abstand sind wir zu Gast im Backstage der Band und
sammeln von dort noch ein paar Impressionen und jagen einer
nachträglichen Setlist hinterher. Das wird ganz lustig. Ein
Musiker schiebt es auf den anderen und jeder gibt auf oder
fängt
gar nicht erst an. Sie bekommen die Titel einfach nicht zusammen und
können ihr Versprechen nicht mehr erfüllen.
Letztendlich bemüht sich Aron Shamash als jüngstes
Bandmitglied die Liste zu komplettieren. Vollständig wird sie
aber
nicht.
Die
Grübelei um den Inhalt der Setlist - Es fehlen noch einige
Titel.
Paar
Albumcover aus unserer CD-Sammlung müssen natürlich
auch noch die Handschrift der Twinkle Brothers bekommen.
Während Drummer Barry Prince seine
Löwen verstaut, die er bei jeder Show an
seinen Drums befestigt (siehe auch Ende letztes Video), fragen wir ihn
nach
einer Erklärung: "Die
Löwen sind meine Maskottchen. Die habe ich von den Fans
geschenkt
bekommen. Ich habe schon sehr viele gesammelt. Es sind aber nicht immer
dieselben Löwen die mit auf Tour gehen."
Norman legt nun die restlichen Bestandteile seines
arabischen Outfits wieder ab. Nach dem Grund für diese
Anzugsordnung gefragt, gibt er an: "Ich
war kürzlich auf einer Hochzeit in den Vereinigten Arabischen
Emiraten. Das hat keinerlei politische Hintergründe."
Von links
nach rechts: Gussie P. (Engineer), Black Steel (Guitar), Dub Judah
(Bass), Jerry Lions (Guitar), Aron Shamash (Keys), Norman Grant
(Vocal), Barry Prince (Drums)
Ebenfalls im Backstage ist mit Joseph "Blue" Grant, alias Still Cool,
ein
weiterer "Grant". Wir haben noch nie daran gedacht, ob es da vielleicht
eine Verbindung geben könnte. Und tatsächlich besteht
der
Verdacht, dass Norman und Joseph einen gemeinsamen Vater haben
könnten. Schon vor vielen Jahren bewegte dieses Thema
zahlreiche
Leute in England, aber tatsächlich aufgeklärt hat man
diese Frage leider noch nicht. Auch heute ist es wieder das
Gesprächsthema im Backstage. Drummer Barry meint dazu: "Look at them check the eyebrows
and its the same Scottish Jamaican connection." Ein
ähnliches Urteil fällten schon früher
Josephs Brüder und Schwestern, aber nicht nur wegen der
Augenbrauen. Joseph scheint das Thema sehr zu belasten. Er war erst 6
Monate alt, als sein Vater mit nur 45 Jahren starb. Sowohl die Mutter
von Norman, als auch die Mutter von Joseph gaben früher
unabhängig voneinander an, dass der Vater der beiden Jungs aus
St. Catherine
in der Nähe von Spanish Town sei. Keiner von beiden hat
allerdings seinen
Vater je kennenlernen können und die Mütter
können leider auch nicht mehr zur Aufklärung
beitragen. Na denn, ... wenn ihr das wirklich wissen wollt,
bleibt wohl nur noch ein DNA Test übrig. ;-)
Da haben wir doch noch ein paar schöne
Backstage-Impressionen einfangen können.
Nun wird es aber langsam Zeit für uns, den geordneten Rückzug
anzutreten und die Verabschiedungsrunde im Backstage und im Saal zu
drehen.
Soweit ein letzter Gruß aus dem Festsaal
Kreuzberg in Berlin.
Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal!
Copyright:
www.reggaestory.de
Text + Videokamera: Peter Joachim
Fotos: Marion + Peter Joachim
Unser Dank geht an Oskar alias Jimi Handtrix von A Bass Odyssey und
natürlich ganz besonders an
die
Künstler des Abends.